Diesen und weitere spannende Artikel lesen Sie online in der aktuellen Ausgabe des Magazins workflow. Was bedeutet ressourcenschonendes Stadtleben? Ein Gespräch mit Gernot Wagner, Klimaökonom und Buchautor („Stadt
Land Klima“), über die Probleme von Zersiedelung und Bodenversiegelung sowie über die positive Vision einer zeitgemäßen Stadtentwicklung.Von Christian LenobleWas darf man sich im Idealfall unter einem innovativen, kompakten
und ressourcenschonenden Stadtleben vorstellen – und was sicher nicht?Gernot Wagner: Beides ist relativ
einfach mit dem Grundsatz der kurzen Wege zu erklären. Nennen wir es die 15-Minuten-Stadt. Sprich, ich sollte alles, was für
mein Arbeits- und Sozialleben wichtig ist, innerhalb von 15 Minuten erreichen können – natürlich ohne Auto. Wohnung und Arbeitsplatz
in unmittelbarer Nähe, wenige Gehminuten zu Supermarkt, Geschäften, Apotheke, Kindergarten oder Lokalen, um Freunde zu treffen.
Das ist nicht nur angenehm, sondern auch ökologisch sinnvoll.
Die Gegenthese dazu ist der Vorort, von dem
so viele träumen, also das Einfamilienhaus im „Grünen“ und der Pendlerverkehr zum innerurbanen Arbeitsplatz. Das ist in vielerlei
Hinsicht kein guter Trend. Menschen isolieren sich in ihren Häusern mangels bequemen, leicht erreichbaren Gemeinschaftsorten
und lange (Auto-)Wege zur Arbeit oder zum Einkaufen kosten Geld und Zeit und belasten das Klima. Das ist kein zeitgemäßes
Konzept für ein gutes, nachhaltiges Leben. Und da sprechen wir noch gar nicht von der Bodenversiegelung.
Sprechen
wir von der Bodenversiegelung. In Österreich werden täglich 13 Hektar Boden verbaut. Was läuft falsch?
Es ist unfassbar, dass in Österreich
alle zehn Jahre eine Fläche von der Größe Wiens verbaut wird. Die Versiegelung muss irgendwann
aufhören, weil sie die Umwelt belastet und Lebensraum zerstört. Symptomatisch sind Einfamilienhaussiedlungen, die aus dem Boden gestampft werden, und das nicht
selten mitten in der Pampa. Gemeinden fransen in die Landschaft aus und Straßen werden zur Anbindung gebaut. Die entscheidenden Faktoren dafür sind Reichtum und
Dichte: Während Reichtum Emissionen erhöht, werden diese durch dichtes Bauen verringert. Vororte profitieren meist von relativ hohem Reichtum und relativ geringer Dichte. Worst
Case also. In Vororten sind die Emissionen pro Bewohner nicht zufällig doppelt so hoch wie in der Stadt oder am tatsächlichen
Land.Was ist die Wurzel des Übels?
Eine Reihe von Rahmenbedingungen und jene Interessensgruppen, die davon profitieren.
Die Raumordnungs- und Flächenwidmungskompetenz
ist hoheitliches Recht der Gemeinden. Solange es eine Kommunalsteuer gibt, die von den Gemeinden eingehoben wird, haben diese ein Wettbewerbsinteresse daran, um Betriebs-
und Wohnansiedelungen zu buhlen. So kommt Geld in die Gemeindekasse – ein „gutes“ Motiv, um passende Widmungen zu erlassen und Flächen zu verbauen, die eigentlich geschützt sein
sollten.
Ein anderes Grundübel ist die Reichsgaragenverordnung aus dem Jahr 1939 (!), in der eine Stellplatzpflicht für Automobile bei Neubauten vorgeschrieben wurde.
Damals war das Ziel, im privaten Bereich den stark wachsenden Automobilverkehr zu fördern. Heute sollte man gegenteilige Ziele
haben, nämlich die Reduktion des Autoverkehrs, der den Kreislauf der Zersiedelung und der Zerstörung öffentlicher Flächen
ankurbelt. Ich nehme an, das scheitert am Druck der Autofahrer und ihrer Lobbys.
Intelligente
Mobilität und kurze Wege sind also die Kernthemen. Wie gefällt Ihnen diesbezüglich das Konzept der Seestadt?
Lassen Sie mich vorab ein Negativbeispiel in Sachen Mobilität bringen, Stichwort Tullnerfeld. Da wurde
ein „gut gemeinter“ Bahnhof errichtet. Die Argumente für den Bahnhofbau waren, das Pendeln mit dem Zug zu ermöglichen.
De facto ging es aber darum, die Gegend zu erschließen und Menschen den Hausbau zu ermöglich. Dass der
Bahnhof weit weg von allem steht und von drei Parkhäusern umringt ist, zeigt das Absurde daran, weil es
zu mehr Autofahrten, mehr CO2-Ausstoß und mehr Bodenversiegelung geführt hat.
In aspern Seestadt
ist das zum Glück anders gelaufen. Hier wurde das Gebiet durch die U2 schon vorab erschlossen. Das ist
natürlich ein Riesengewinn in Sachen Nachhaltigkeit, wenn man so den Autoverkehr reduziert. Innerhalb des Gebiets wurde
planerisch das Konzept der kurzen Wege verfolgt, und zwar vorausschauend. Geschäfte und die gesamte Alltagsinfrastruktur
waren seit Beginn da. Der Immobilienmakler musste nicht durch die Straße gehen und seiner Klientel sagen: „Da wird ein
Kaffeehaus hinkommen und hier später einmal ein Supermarkt. Noch steht alles leider leer. Aber das wird super.“
Sondern er konnte sagen: „Schauen Sie, das ist meine Lieblingsbar, hier gibt’s die besten Pizzas und in diesem Kindergarten
ist es wirklich schön sonnig.“ So lässt sich ein neues Wohn- und Lebensquartier natürlich wesentlich besser präsentieren.
Und darum geht es, um ein attraktives Stadtviertel mit kurzen Wegen zwischen Wohnen, Arbeit und Freizeit sowie einen
gesunden Mix an vorhandener Infrastruktur statt leerstehender Geschäftsflächen. Damit kann die notwendige Dynamik hergestellt
werden, die es braucht, um Menschen zu verleiten, hierher zu ziehen. Dazu kommen natürlich zertifizierte, gut isolierte Gebäude,
ausreichend Grünflächen, Spielplätze usw. Das alles, sprich das Ideal eines modernen Stadtteils, scheinen sich die verantwortlichen
Planer und Entwickler in aspern Seestadt gut überlegt und umgesetzt zu haben.
Sie sprechen
von Dynamik. Und dennoch kommt immer wieder medial die Kritik auf, dass solche Stadtentwicklungsgebiete zumindest in den ersten
Jahren etwas leblos wirken.
Das liegt in der Natur der neuen Sache. Man kann das Lebendige nicht vom ersten
Tag an erfinden und neue Stadtquartiere nicht mit über Jahrzehnten organisch gewachsenen Vierteln vergleichen. Es braucht
Zeit, bis sich Räume mit Leben füllen. Entscheidend ist vielmehr, ob die Planer und Entwickler überhaupt die Grundvoraussetzungen
dafür angelegt haben, dass sich Lebendigkeit mit den Jahren entfalten kann. Es sollen die unterschiedlichsten Gruppen – Singles,
kinderlose Paare, Jungfamilien, Pensionisten – ihre Präferenzen in einem gemeinsamen Raum erfüllen können. Dann gibt es die
Chance, dass etwas wächst, das auch in 30 Jahren noch lebenswert ist. Mein Eindruck ist, dass in aspern Seestadt
auch diese langfristige Vision berücksichtigt wurde.